Breiter, länger, weiter: Hamburgs Radfahrer geizen nicht mit Superlativen. Immer am letzten Freitag im Monat geht’s auf die Räder, ganz unabhängig vom berühmten hanseatischen Wetter. Bei Schnee und Eis düsen 500 Radfahrer durch die Hansestadt, an sommerlichen Abenden beinahe 6.000. Das kann dann schon eine Weile dauern, bis alle über die Kreuzung rüber sind.
Während der Termin für die jeweils nächste Fahrt schon lange feststeht — immer der letzte Freitag im Monat gegen 19 Uhr — wird der Treffpunkt von der Critical Mass im Vormonat selbst bestimmt: Dort wo die Critical Mass ihr Ende findet, wird im nächsten Monat gestartet. In der Regel befindet sich der Treffpunkt innerhalb der Innenstadt und lässt sich beispielsweise vom Hauptbahnhof binnen einer Viertelstunde erreichen. Falls man nicht dabei war, gibt es die Critical Mass Hamburg - Diskussionsgruppe. Dort wird einem (meist gern) geholfen
Hamburg war eine der ersten Städte, die von der Idee der Critical Mass partizipierten: Bereits vor der Jahrtausendwende sollen unregelmäßig Gruppen von Radfahrern am letzten Freitag im Monat durch die Stadt gerollt sein. Der Treffpunkt war damals die Große Bergstraße in Altona und es reichte eher selten für die notwendigen 16 Radfahrer, um als Verband auf der Fahrbahn zu fahren. Hin und wieder ließen sich sogar einige Fahrradpolizisten blicken und halfen unfreiwillig beim Sprung über die 16er Marke. Als erste schriftlich überlieferte Masse gilt der 31. März 2000, an dem sich 15 Radfahrer vor der U-Bahn-Station St. Pauli zu einer gemeinsamen Radtour trafen.
Über die Jahre dümpelte die Critical Mass Hamburg vor sich hin, mal fuhren plötzlich fünfzig Radfahrer herum, mal kehrten drei einsame Radfahrer nach einer kurzen Runde durch die Bergstraße in eine Kneipe ein.
Am 25. Mai 2007 bildeten etwa 300 Radfahrer eine Demonstration gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, die trotz der politischen Ausrichtung als eine der größten Massen in dieser Zeit beschrieben wird. Am 3. Juli 2009 wurden 250 Radfahrer in der Innenstadt gezählt.
Die Critical Mass Hamburg gewann vor allem mit dem Wandel der sozialen Medien wieder an Bedeutung. Im Frühjahr 2011 erstellte ein bis heute unbekannter Radfahrer eine Seite auf facebook für die Critical Mass Hamburg. Zur ersten Tour der „neuen Critical Mass Hamburg“ trafen sich am 25. März 2011 etwa 150 Radfahrer. Die zweite Tour fand mit 256 Radfahrern am 24. Juni 2011 statt; zunächst sollte ein vierteljährlicher Turnus beibehalten werden, um das Besondere an einer solchen Tour hervorzuheben. Aufgrund des großen Interesses traf man sich hingegen bereits am 26. August 2011 wieder, seitdem findet die Critical Mass Hamburg jeweils am letzten Freitag im Monat statt.
Die kann sich offenbar schlimmeres vorstellen.
Am 24. Juni 2011 rückte die Polizei mit einem größeren Kommando an, errichtete im Bereich der Reeperbahn eine Straßensperre mit Helm und Schlagstöcken und verfolgte die 256 Teilnehmer quer über den Kiez. Einige Teilnehmer wurden dabei unsanft zu Boden geworfen und angeblich mit Schlagstöcken bearbeitet. Warum ausgerechnet diese Tour derart eskalierte, lässt sich im Nachhinein nicht nachvollziehen, denn anschließend nahm die Polizei bis Anfang 2013 kaum Notiz von den Fahrradtouren. Traf die Masse auf einen Streifenwagen, begann zwar sofort die Suche nach einem Verantwortlichen, der bitte eine Spontan-Demonstration anmelden möge, aber der Erfolg der Rennleitung, die teilweise auf 750 Teilnehmer angewachsene Masse mit einer einzelnen Streifenwagen-Besatzung zu stoppen, hielt sich in Grenzen.
Erst im Jahr 2013 suchte die Polizei im Netz nach dem Treffpunkt der Critical Mass und schickte mehrere Streifenwagen zur Begleitung vorbei. Mittlerweile hat man sich am Fahrradfreitag ganz gut eingespielt: Die Polizei fährt mit zwei Streifenwagen und einigen Motorrädern hinterher und einige der Motorrad-Polizisten sichern zwischendurch einige Kreuzungen ab und beruhigen wütende Kraftfahrer.
Man trifft sich meistens um 19 Uhr herum am Treffpunkt. Vor 18.30 Uhr ist eigentlich niemand dort, vor 19.30 Uhr geht’s meistens auch noch gar nicht los. Nach einem kurzen Bike-Up geht’s für etwa zweieinhalb Stunden und 25 bis 30 Kilometer bei moderater Geschwindigkeit durch die Stadt. Am Ziel folgt ein weiteres Bike-Up, danach zerstreuen sich die Teilnehmer und steuern die nächste Party oder Kneipe an.
Bei günstiger Witterung folgt am Ziel meistens noch eine spontane Party mit Musik, Grill und Bier.
Immer derjenige, der ganz vorne fährt. Ein durchsetzungsstarkes Mundwerk kann dabei sicher nicht schaden.
Denkt bitte daran, dass die Critical Mass Hamburg aufgrund ihrer schieren Größe mit teilweise mehreren tausend Teilnehmern nicht besonders flexibel ist und bleibt daher nach Möglichkeit auf mehrstreifigen Hauptstraßen. Abseits solcher Straßen staut sich die Masse an jeder Fahrbahnverengung und an jedem geparkten Kraftfahrzeug, was sich im hinteren Teil der Masse mitunter auf Wartezeiten von einer Dreiviertelstunde summieren kann — das macht absolut keinen Spaß mehr.
Hier siehst du ein paar Fotos aus Hamburg. Schau dir auch die Übersicht über Fotos aus Hamburg an.